Vorstellung

A B S C H N I T T E

Veröffentlicht:

Januar 2000, Thüringer Allgemeine

Geraberg: Lust des kreativen Beginns, Last der mühseligen Ebene

Man  ist das Zentrum ... und hat damit so seine Schwierigkeiten

Von Henry TREFZ

Viel hat sich verändert in Geraberg, so viel — mancher mag gar nicht mehr glauben, dass dies alles erst wenige Jahre vorbei ist. Zwei Bürgermeister prägten mit ihrem Handeln die Epochen, beeinflusst durch äußere Zwänge, in durchaus unterschiedlicher Weise. Günther Irrgang regierte bis 1994 in einer der Aufbruchstimmung offensiv Rechnung tragenden Manier. Aus Rumpelpisten wurden (gelegentlich vorerst) richtige Straßen. Zwei Kindergärten entstanden neu. Die Regelschule wehrte mit der Hilfe der Nachbarkommunen die ersten Angriffe  auf ihre Existenz ab. Beim Pochwerk setzte Günter Irrgang in einer dramatischen Ratsdebatte durch, dass 70 000 Mark nicht für den Abriss, sondern für die Erhaltung eingesetzt wurden. Das Wohngebiet “Auf dem Sande" trug wesentlich dazu bei,  dass  der Bevölkerungsrückgang aufgehalten wurde. Die Geratalhalle war erklärter Wunsch und später berechtigter Stolz aller Einwohner. Klar, dass bei der kreativen Vielfalt der ersten Jahre auch einige Ideen als Seifenblasen zerplatzen.  Der Vogelpark zählt dazu, genau so wie die Schwimmbad-Erweiterungspläne,  die Altenheimansiedlung und einige Jahre später der Belebungsversuch am alten Heizwerk.
Doch das Ende der Irrgang-Ära 1994 markierte gleichwohl auch den Beginn der mageren Jahre. Heinz Hertwig, vorher Parlamentspräsident und zunächst über die Maßen zurückhaltender Nachfolger Irrgangs, übernahm nicht nur ein Dorf in der Blüte sondern auch die Last, mit immer weniger Geld das Errungene auch zu verteidigen. Ein Job, der nicht leichter war, als der seines politischen Ziehvaters. Die Geratalmesse ins Leben gerufen und in den ersten Jahren auch organisiert zu haben, war die Abschiedstat seines Vorgängers, der sich danach in hohem Tempo von der politischen Bühne verabschiedete.Das Verschwinden im Guten wie im Schlechten kennzeichnete die nun folgenden Jahre, ohne dass Heinz Hertwig mehr tun konnte, als heftigen, meist aber erfolglosen Widerspruch zu leisten.
Freilich, das verlassene Thermometerwerk, 1961 bei seiner Erbauung der ganze Stolz der Einwohner, verstellt nun nicht mehr die Aussicht auf die schönen Berge, doch der Betrieb wanderte - ausgerechnet zum Erzrivalen nach Geschwenda.
Die Grundschule hatte durch kluge Ansiedlungspolitik der frühen 90-er alle Chancen zum Überleben, doch das Ränkespiel im Umfeld verhinderte den Lohn der Mühe.
Natürlich, es ist schön, wenn man Straßen bauen kann, mit reichlich Fördergeld und den Anwohnern versprechen, dass sie nichts kosten, doch gehört wahre politische Größe auch denen bescheinigt, die im Entrüstungssturm tapfer den Nacken für die Bürgerschelte über Straßenausbaubeiträge hinhielten.
Sicher machte die Geratalhalle nicht nur durch ihre Sportmöglichkeiten sondern auch durch die Messe den Ort bekannt, doch die Stolz zeugende Übergröße forderte letztlich den Tribut der ausufernden Betriebskosten.
Klar macht der Gratis-Abriss der alten Kofferfabrik und die Verwaltungsnutzung ihrer kleineren Schwester auch den oberen Ortsteil ansehnlicher, doch wurde auch der Wald ein klein wenig zu radikal gelichtet und die musikalischen Neubau-Pläne sind zumindest derzeit noch immer solche.
Immerhin — trotz Jahr für Jahr länger  werdender Genehmigungswege und knapper werdendem Geld - das Gewerbegebiet am Thermometerwerk, die neue Tankstelle sind nun endlich auf dem Weg, genauso wie  die jahrelang geplante Neutrassierung der Noch-B 88. Mit der nun im Bau befindlichen Autobahn macht die Gemeinde den entscheidenden Schritt in Richtung Zukunft, Plus- und Minus-Punkte natürlich  eingeschlossen. Bis  ein Leitinvestor die Anschlussstelle auch auf Geraberger Seite schmückt, wird es aber noch ein gutes Stück Kampf kosten.
Und es bleiben noch Punkte auf dem Aufgabenzettel: Ein altes, aber intaktes Kino, für das vielversprechende Wiederbelebungsideen leider genau so ignoriert wurde, wie am alten Heizwerk. Und die ungleich schwerere Daueraufgabe, den Ausgleich zu suchen zwischen den städtischer denkenden Neubürgern und den traditionsbewussten Ureinwohnern, zwischen Ruhe suchenden Älteren und lebensbejahender Jugend, zwischen Arm und Reich, zwischen Investitionen  für mehr Wohnqualität und/oder mehr Gewerbe, zwischen natürlichem  Führungsanspruch als Leitgemeinde und dem wachsendem Ehrgeiz der Geratal-Partner, zwischen Vergangenheitsbewahrung  hier und Zukunftszuwendung da.

 

 

 

 

 

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